EuGH, Urt. v. 16.5.2016 – Rs. C-682/15 – Berlioz In-vestment Fund SA

Rechtsschutz: Zum Rechtsschutz gegen Auskunfts-anordnungen im Rahmen der Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung nach der Amtshilferichtlinie 2011/16/EU

Richtlinie 2011/16/EU– Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung Art. 1 Abs. 1, Art. 5; Charta der Grundrechte der Europäischen Union Art. 47, 51

1.Art. 51 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ist dahin auszulegen, dass ein Mitgliedstaat im Sinne dieser Vorschrift das Unionsrecht durchführt und daher die Charta der Grundrechte der Europäischen Union anwendbar ist, wenn er in seinen Rechtsvorschriften eine Geldbuße gegen einen Verwaltungsunterworfenen vorsieht, der sich im Rahmen eines u.a. auf die Bestimmungen der Richtlinie 2011/16/EU des Rates vom 15.2.2011 über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung und zur Aufhebung der Richtlinie 77/799/EWG gestützten Austauschs zwischen Steuerbehörden weigert, Informationen mitzuteilen.

2.Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ist dahin auszulegen, dass ein Verwaltungsunterworfener, gegen den eine Geldbuße verhängt wurde, weil er eine Verwaltungsentscheidung nicht befolgt hat, mit der im Rahmen eines Austauschs zwischen nationalen Steuerbehörden aufgrund der Richtlinie 2011/16 von ihm die Mitteilung von Informationen verlangt wurde, das Recht hat, die Rechtmäßigkeit dieser Entscheidung anzufechten.

3.Art. 1 Abs. 1 und Art. 5 der Richtlinie 2011/16 sind dahin auszulegen, dass die „voraussichtliche Erheblichkeit“ der von einem Mitgliedstaat bei einem anderen Mitgliedstaat erbetenen Informationen eine Voraussetzung ist, die das Informationsersuchen erfüllen muss, damit der ersuchte Mitgliedstaat verpflichtet ist, ihm zu entsprechen, und dadurch eine Voraussetzung der Rechtmäßigkeit der von diesem Mitgliedstaat an einen Verwaltungsunterworfenen gerichteten Anordnung und der gegen ihn wegen Nichtbefolgung dieser Anordnung verhängten Sanktion ist.

4.Art. 1 Abs. 1 und Art. 5 der Richtlinie 2011/16 sind dahin auszulegen, dass sich die Prüfung durch die ersuchte Behörde, die von der ersuchenden Behörde aufgrund dieser Richtlinie mit einem Informationsersuchen befasst wird, nicht auf die formelle Ordnungsmäßigkeit des Ersuchens beschränkt, sondern es der ersuchten Behörde ermöglichen muss, sich zu vergewissern, dass den erbetenen Informationen im Hinblick auf die Identität des betreffenden Steuerpflichtigen und die des Dritten, dem gegebenenfalls Auskunft erteilt wird, sowie auf die Bedürfnisse der fraglichen Steuerprüfung nicht völlig die voraussichtliche Erheblichkeit fehlt. Diese Bestimmungen der Richtlinie 2011/16 und Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sind dahin auszulegen, dass das nationale Gericht im Rahmen einer Klage eines Verwaltungsunterworfenen gegen eine Sanktion, die die ersuchte Behörde gegen ihn wegen Nichtbefolgung einer Anordnung verhängt hat, die sie infolge eines von der ersuchenden Behörde nach der Richtlinie 2011/16 an sie gerichteten Informationsersuchens erlassen hat, außer einer Befugnis zur Abänderung der verhängten Sanktion auch eine Befugnis zur Prüfung der Rechtmäßigkeit dieser Anordnung hat. Die gerichtliche Kontrolle der Rechtmäßigkeitsvoraussetzung der Anordnung im Zusammenhang mit der voraussichtlichen Erheblichkeit der erbetenen Informationen ist auf die Prüfung beschränkt, ob diese Erheblichkeit offenkundig fehlt.

5.Art. 47 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ist dahin auszulegen, dass ein Gericht des ersuchten Mitgliedstaats im Rahmen der Ausübung seiner gerichtlichen Kontrolle Zugang zu dem vom ersuchenden Mitgliedstaat an den ersuchten Mitgliedstaat gerichteten Informationsersuchen haben muss. Der betreffende Verwaltungsunterworfene hat hingegen kein Recht auf Zugang zu dem gesamten Informationsersuchen, dasgem. Art. 16 der Richtlinie 2011/16 ein geheimes Dokument bleibt. Für eine im Hinblick auf das Fehlen der voraussichtlichen Erheblichkeit der erbetenen Informationen umfassende Verhandlung seiner Sache reicht es grundsätzlich aus, dass er Zugang zu den in Art. 20 Abs. 2 der Richtlinie genannten Informationen hat.


Verlag Dr. Otto Schmidt vom 24.11.2017 10:56

zurück zur vorherigen Seite