EuGH, Urt. v. 13.11.2012 – Rs. C-35/11 – Test Claimants in the FII Group Litigation

Keine Verdrängung der Kapitalverkehrsfreiheit durch die Niederlassungsfreiheit in Drittstaatsfällen, wenn die einschlägige Steuervorschrift keine Beteiligung voraussetzt, die einen sicheren Einfluss vermittelt

AEUV Art. 49, Art. 63

1. Die Art. 49 AEUV und 63 AEUV sind dahin auszulegen, dass sie einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegenstehen, die die Befreiungsmethode auf Dividenden aus inländischen Quellen und die Anrechnungsmethode auf Dividenden aus ausländischen Quellen anwendet, wenn sich erweist, dass zum einen die Steuergutschrift für die Dividenden empfangende Gesellschaft im Rahmen der Anrechnungsmethode dem Betrag der Steuer entspricht, die tatsächlich auf die den ausgeschütteten Dividenden zugrunde liegenden Gewinne entrichtet worden ist, und zum anderen in dem betreffenden Mitgliedstaat das effektive Besteuerungsniveau für die Gewinne von Gesellschaften generell unter dem vorgeschriebenen Steuersatz liegt.

2. Die Antworten des Gerichtshofs auf die zweite und die vierte Frage im Urteil vom 12. Dezember 2006, Test Claimants in the FII Group Litigation (C 446/04), gelten auch in Fällen, in denen

  • die ausländische Körperschaftsteuer, mit der die den ausgeschütteten Dividenden zugrunde liegenden Gewinne belegt waren, nicht oder nicht vollständig von der gebietsfremden Gesellschaft, die diese Dividenden an die gebietsansässige Gesellschaft zahlt, sondern von einer in einem Mitgliedstaat ansässigen direkten oder indirekten Tochtergesellschaft der erstgenannten Gesellschaft entrichtet worden ist;
  • die Körperschaftsteuervorauszahlung nicht von der gebietsansässigen Gesellschaft entrichtet worden ist, die die Dividenden von einer gebietsfremden Gesellschaft empfangen hat, sondern im Rahmen der Regelung der Gruppenbesteuerung von ihrer gebietsansässigen Muttergesellschaft.

3. Das Unionsrecht ist dahin auszulegen, dass eine in einem Mitgliedstaat ansässige Muttergesellschaft, die im Rahmen einer Regelung der Gruppenbesteuerung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden unter Verstoß gegen das Unionsrecht gezwungen war, die Körperschaftsteuervorauszahlung auf den aus Dividenden aus ausländischen Quellen stammenden Teil ihres Gewinns zu entrichten, einen Anspruch auf Erstattung der zu Unrecht erhobenen Steuer hat, soweit diese den Mehrbetrag der Körperschaftsteuer übersteigt, den der betreffende Mitgliedstaat erheben durfte, um den im Vergleich zu dem nominalen Steuersatz für die Gewinne der gebietsansässigen Muttergesellschaft niedrigeren nominalen Steuersatz für die den Dividenden aus ausländischen Quellen zugrunde liegenden Gewinne auszugleichen.

4. Das Unionsrecht ist dahin auszulegen, dass sich eine im Gebiet eines Mitgliedstaats ansässige Gesellschaft, die eine Beteiligung an einer in einem Drittland ansässigen Gesellschaft hält, die ihr einen sicheren Einfluss auf die Entscheidungen der letztgenannten Gesellschaft verschafft, auf Art. 63 AEUV berufen kann, um die Vereinbarkeit einer Regelung dieses Mitgliedstaats über die steuerliche Behandlung von Dividenden aus Quellen dieses Drittlands, die nicht ausschließlich auf Situationen anwendbar ist, in dem die Muttergesellschaft einen entscheidenden Einfluss auf die Dividenden ausschüttende Gesellschaft ausübt, mit dieser Bestimmung in Frage zu stellen.

5. Die Antwort des Gerichtshofs auf die dritte Frage in der Rechtssache, in der das Urteil Test Claimants in the FII Group Litigation ergangen ist, gilt nicht, wenn in anderen Mitgliedstaaten ansässige Tochtergesellschaften, auf die keine Übertragung der Körperschaftsteuervorauszahlung erfolgen konnte, im Mitgliedstaat der Muttergesellschaft nicht besteuert werden.

Download EuGH, Urt. v. 13.11.2012 – Rs. C-35/11


Verlag Dr. Otto Schmidt vom 21.12.2012 11:54

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